Worum geht’s?
Emilia spricht nicht mehr, denn für sie gibt es nichts mehr zu sagen. Die meisten Leute nehmen mittlerweile hin, dass sie schweigt. Denn alle wissen, was passiert ist. Alle außer dem Neuen, Logan, der ihr Schweigen nicht hinnimmt und wissen will, was passiert ist. Doch Emilia schützt mit ihrem Schweigen nicht nur sich selbst, sondern auch die Person, die nicht mehr da ist. Logan bricht ihre Mauern ein, doch dabei hat er selbst ein Geheimnis.
Wie gefällt es mir?
Emilia ist eine besondere Protagonistin, der das für mich wohl Schlimmste, zugestoßen ist. Seit diesem Ereignis spricht sie nicht mehr, denn sie hat alles gesagt, was es zu sagen gibt. Mit ihrem Schweigen schützt sie nicht nur sich selbst, sondern vor allem auch Caroline. Der Leser vermutet von Anfang an, wen Emilia verloren hat, auch wenn die Umstände eine Zeit lang im Dunkeln bleiben. I’m still here war das erste Buch mit einer schweigenden Protagonistin, in dem ich ihr Schweigen absolut nachvollziehen kann. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie es mir ginge, wenn ich an Emilias Stelle wäre. Irgendwann gibt es einfach nichts mehr zu sagen, das kann ich mehr als verstehen. In der Schule haben sich alle an ihr Schweigen gewöhnt, auch wenn die Lehrer gelegentlich versuchen, ihr Schweigen zu brechen. Besonders ihre Familie leidet unter ihrem Verhalten, während ihre Freunde sich scheinbar damit arrangiert haben. Die ganze Situation ist für alle Beteiligten gar nicht einfach, aber die Autorin schafft es auf beeindruckende Art und Weise, die Balance zu halten. Sie übertreibt es nicht und bleibt dabei realistisch. Der Leser kann durch Emilias Erzählperspektive und die Rückblenden, sehr gut in ihre Situation reinfühlen und sich hineinversetzten. Ich gestehe, ich habe einige Tränchen vergossen.
Logan ist der Rebell, derjenige, der die Geschichte, genau wie der Leser, nicht kennt, der wissen will, warum Emilia schweigt und keine Rücksicht nimmt. Auf der einen Seite habe ich Logan beim Lesen bewundert, weil er Emilia ganz normal behandelt und nicht in Watte gepackt hat. Das hat mir sehr gut gefallen, denn er lockt sie Stück für Stück aus ihrem Schneckenhaus heraus, bis sie wieder im Leben steht. Auf der anderen Seite fand ich seine Sprüche teilweise echt krass, wo ich schon lange das Weite gesucht hätte. Das war das Einzige, was mich wirklich an ihm gestört hat. In der zweiten Hälfte der Geschichte, geht es mehr um das (Freundschafts-)Verhältnis zwischen Emilia und Logan. Hier hat mich sein Verhalten ziemlich aufgeregt, denn es ist klar, dass er Gefühle für Emilia hat, die er sich nicht eingestehen will, doch ich hätte ihn gerne durchgeschüttelt. Aber ich kann auch sein Handeln verstehen.
Der Schreibstil von Ramona Seidl ist wie gewohnt flüssig, rund und fesselnd. Sie hat es geschafft, ein sehr bewegendes Thema in eine Geschichte zu fassen, die beim Lesen Gänsehaut verursacht. Danke, Ramona!
Zitat
Ich atme tief durch und möchte gerade aufstehen, um die Antwort an die Tafel zu schreiben, wie ich es schon einmal gemacht habe, da sagt Logan plötzlich: „Symbiose.“
„Danke, Logan. Aber ich wollte die Antwort eigentlich gerne von Emilia hören.“
„Tja“, setzt er an. „wenn Sie so viel Zeit haben…“
„Wie bitte?“, will Mrs Jones wissen.
„Mal ehrlich – Sie wissen doch, dass es Jahre dauern könnte, bis da eine Antwort zu hören wäre. Ich für meinen Teil würde gerne pünktlich gehen…“ (I’m still here von Ramona Seidl)
Auf den Punkt gebracht
Die ganze Geschichte um Emilia, ihr Schweigen, ihre Vergangenheit und Logan, dem Neuen, hat mich sehr berührt und bewegt. Die Autorin Ramona Seidl hat es geschafft, die Geschichte mit dem so schwierigen Thema absolut auf den Punkt zu bringen, ohne zu über- oder untertreiben. Respekt!
Vielen Dank an Ramona Seidl für dieses Leseexemplar.
Daten
Titel: I’m still here
Autor: Ramona Seidl
Verlag: Selfpublishing
Seiten: 406 Seiten (TB)
Preis: € 10,99 (TB)