Worum geht’s?
Léa flieht vor ihrem Leben. Sie tauscht den deutschen Sommer gegen den südfranzösischen und fährt auf das alte Familienanwesen an der Côte d’Azur. Doch ihr Plan, dort zur Ruhe zu kommen, geht nicht auf: Am Abend ihrer Ankunft unterhält sie sich mit einer jungen Frau, die noch in derselben Nacht ums Leben kommt – und Léa ist die letzte, die sie gesehen hat. Plötzlich steht Émile, der Bruder der jungen Frau, vor Léas Tür. Ihn quälen viele Fragen, weil er erfahren hat, dass seine Schwester schwanger war. Nacht für Nacht erzählen sie sich von ihren längst nicht mehr heilen Familien, sie streiten mit Haut und Haar über Schuld, Angst und Schweigen. Während Léa versucht, zurück ins Leben zu finden, setzt Émile alles daran, zu ergründen, was zum Tod seiner Schwester geführt hat. Wie kann man Abschied von der Vergangenheit nehmen, ohne zu vergessen?
Wie gefällt es mir?
Léa sucht Abstand und andere Gedanken nach ihrer Trennung im Urlaub an der Côte d’Azûr. Dort lernt sie eine Freundin ihrer Mutter und Émile kennen. Léa ist mit ihrem Leben derzeit komplett überfordert, sie hat sich von ihrer festen Freundin getrennt und ihr Café in einem Anflug von Veränderung komplett umgestaltet – eher ins Negative. Die Auszeit in Frankreich tut ihr gut, auch wenn diese mit dem Tod der jungen Frau nicht so startet, wie sie es sich vorgestellt hat. Léa ist eine sympathische Protagonistin, Mitte 30. Sie entwickelt sich sanft weiter. Dies geschieht auf eine ganz natürliche Art, die gut in ein paar Wochen Sommerurlaub passt.
Émile ist ein berühmter Podcaster, Model, Mitte 20, der auf seinem Podcast gesellschaftskritische Interviews führt. Er steht im Rampenlicht, lebt eigentlich in Paris und kommt wegen dem Tod seiner Schwester zurück in sein Heimatdorf. Hier prallen für ihn Welten aufeinander. Die konservativen Dorfbewohner inklusive seiner Eltern gegen seine Person der Öffentlichkeit, die er im Internet und in Paris ist. Seine kleine Schwester hat ihm alles bedeutet, weshalb er auf Léa zu geht, sobald er erfährt, dass sie wahrscheinlich die letzte Person war, die Alice lebend gesehen hat. Charakterlich ist auch er sehr sympathisch, von seiner Trauer sehr eingenommen, aber er blickt auch nach vorne und möchte die Umstände von Alice Tod als Kritik and er Gesellschaft an die Öffentlichkeit bringen, ohne Alice dabei zu thematisieren.
Wichtige Themen in diesem Roman sind beispielsweise Schwangerschaften, Frauenpower, alleinerziehende Mütter, Frauen in Führungspositionen, aber auch Veränderung der Gesellschaft, Influencer, Social Media Berühmtheit, Altersunterschiede in Liebesbeziehungen und natürlich der Tod der jungen Frau, Alice. Die Kombination aus all diesen Themen, gespickt mit viel Frankreich, französischem Flair und tollen, sommerlichen Beschreibungen der Umgebung gefällt mir gut. Besonders gut ist die Balance zwischen ernsten Themen und Liebesgeschichte gelungen. Die Handlungen und Motivationen der Charaktere sind gut erkennbar und nachvollziehbar.
Der Handlungsstrang ist klar und wird nur durch wenige Rückblicke in die Generation von Léas Mutter und Freundin als junge Frauen unterbrochen. Diese bringen eine zweite, interessante Ebene in die Geschichte hinsichtlich früher, unerwarteter Schwangerschaft und tiefer Freundschaft zwischen Frauen. Der Schreibstil der Autorin ist für die Thematiken nicht zu leicht und eher weniger mitreißend, sondern sanft und liebevoll. Frankreich, die Charaktere und das Gefühl von Sommerurlaub kommen deutlich hervor.
Zitat
Da waren ihre Kindheitserinnerungen an den Ort, an den sie nun nach… wie vielen Jahren… achtzehn?… zurückkehrte: die Sandalen ihrer Mutter, deren Pfennigabsätze über den Marmorboden des Foyers klackerten. (…) Die noch warmen Croissants, nie direkt aus der Tüte! Immer hübsch angerichtet auf einem Teller. Ihr erster Kuss mit einem einheimischen Jungen in einer Bucht. (Nachts erzähle ich dir alles von Anika Landsteiner)
Auf den Punkt gebracht
Ein wirklich schöner Sommerroman, der mehrere Thematiken gut miteinander vereint. Auch wenn diese Themen manchmal ein wenig schwerer sind, so werden sie gut in französisches Flair und einer Liebesgeschichte verbunden, die allerdings nicht der alleinige Fokus bildet. Diese Geschichte regt definitiv auch zum Nachdenken an.
Daten
Titel: Nachts erzähle ich dir alles
Autorin: Anika Landsteiner
Verlag: Fischer Krüger Verlag
Seiten: 368 Seiten (HC)
Preis: € 24,- (HC)